Freude, Angst und Adrenalin am Start
7:00 Uhr morgens: Die ersten Gesichter erscheinen am Startplatz. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit das Tor des Géants das letzte Mal hier in Courmayeur gefeiert wurde. Freude liegt in der Luft, man sieht eine ältere Dame auf einem Balkon weinen, denn die Aostataler warten jedes Jahr auf dieses Rennen, wie ein Kind auf Weihnachten wartet.
Die ersten bekannten Gesichter, die ersten Profisportler sind bei der Auslieferung der Racebags zu sehen. Manche sind aufgeregt, andere schweigen, was ist Tor für Sie? „Das ist alles“, „Ich bereite es seit Jahren vor“, „Ein Traum“ erzählen sie uns. „Eine innere Reise, ein langer Weg durch die spektakulärsten Berge der Welt“. Und so ist es tatsächlich.
330km, aber keine einfache flache Straße. Man trifft auf Felsen, Pässe, Eis und harten, reinen, anstrengenden Aufstieg. 24.000 Höhenmeter folgen den Hängen der schönsten Alten Vie im Aostatal. „Am Fuße der Riesen“ hören wir geflüstert, während uns der Mont Blanc von oben beobachtet, versteckt in den rosigen Wolken der Morgendämmerung.
Die Abfahrt. Alle Fahnen sind aufgestellt. Ein paar Leute möchten eine als Andenken mitnehmen, werden aber sofort von einem Freiwilligen blockiert: „Die müssen da bleiben, sonst weiß man nicht wohin“. Die Athleten stellen sich an den Start, endlich kommt die Sonne zum Vorschein und wärmt die kalte Luft. Wir sehen leuchtende Augen, ein Paar Leute sitzen, sie sparen Kraft, andere verstecken sich nachdenklich in einer Ecke, um alle grundlegenden Kreuzungspunkte mental noch einmal durchzugehen, andere ermutigen sich gegenseitig, weil sie wissen, dass dieses Rennen zuallererst eine Herausforderung an sich selbst ist, aber an manchen Stellen ist es auch ein Rennen in Begleitung.
Bei der Abfahrt beginnt die Musik zu donnern: Viele weinen, die Freiwilligen rücken zusammen, sie umarmen sich. Alle haben auf diesen Moment gewartet.
„10, 9, 8… 3, 2, 1“ ruft der Starter und mit ihm alle Zuschauer: Das Tor des Géants 330 beginnt! 49 Nationen, 711 Läufer beginnen dieses Abenteuer. Die Profis starten mit großer Geschwindigkeit und man fragt sich, wie sie es schaffen, so los zu strümen, obwohl sie genau wissen, wie weit das Rennen sein wird.
Diese Läufer sind Riesen.
Der erste Assistant Point befindet sich in La Thuille. Der Anstieg fehlt in den ersten Stunden nicht und manche kommen schon mit einem verlangsamten Tempo an. Der Abstand zwischen den Spitzenreitern beträgt bereits etwa zehn Minuten und genaue Vorhersagen über den Fortschritt der Positionen werden kompliziert.
„Papa ist 30er auf dem GPS, aber meiner Meinung nach ist er weiter hinten“, ruft ein Kind, das inzwischen mit seinen kleinen Fingern die Läufer zählt und nach dem bekannten Gesicht seines Vaters sucht, lang ersehnt und erhofft. „Lisa Borzani ist Dritte “, rufen sie und die lang erwartete Königin des Tors tritt auf. Viele Sportler gehen vorbei, mehr oder weniger erschüttert, aber der Weg ist noch lang und sie können nicht aufgeben. Wir sehen sie weitergehen, manche noch mit einer Tasse in der Hand, andere stirnrunzelnd und wir können nicht vermeiden, uns zu fragen, was ihre Anliegen sind.
Diese modernen Helden laufen unermüdlich und erwarten es laum, sie am Ende zu sehen, in der Hoffnung, dass diese Berge sich um sie kümmern werden.